Nachwuchsgruppe Dr. Franziska Hagelstein

Am 11. Februar ist der internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft: Ein guter Anlass um unsere neue Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Franziska Hagelstein und ihre Forschung vorzustellen. Franziska Hagelstein studierte Physik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und promovierte dort 2017 unter Betreuung von Prof. Marc Vanderhaeghen und Dr. Vladimir Pascalutsa im Bereich der theoretischen Kernphysik. Nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten an der Universität Bern und dem Paul Scherrer Institut in der Schweiz kehrte sie 2022 an die JGU zurück und leitet seitdem am Institut für Kernphysik die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Hadronische Beiträge zu Präzisionsobservablen und der Suche nach Neuer Physik“. Aktuell betreut sie zwei Doktorand:innen und wird bei ihrer Forschung von einem Postdoc – Dr.  Vadim Lensky – unterstützt.

Nach eigener Aussage ist die JGU für ihre Forschung ein geradezu optimaler Ort, denn zum einen findet sie hier einen inspirierenden Austausch mit den Kolleg:innen  in der großen Theoriegruppe und hat gleichzeitig die Nähe zu Kollaborationen aus der experimentellen Kern- und Atomphysik, wie zum Beispiel bei den Experimenten für Protonen Form Faktor- (A1-Kollaboration, JGU) und Protonen Polarisierbarkeits-Messungen (A2-Kollaboration, JGU)  am Elektronenbeschleuniger MAMI, oder den Spektroskopie Experimenten an normalen und myonischen Atomen (Gruppe um Prof. Randolf Pohl, JGU). Besonders spannend dabei ist, dass diese Experimente eine zentrale Rolle im sogenannten Proton-Radius-Rätsel („proton radius puzzle“) spielen.

Das Proton-Radius-Rätsel beschreibt die Tatsache, dass mehr als 100 Jahre nach seiner Entdeckung die Größe des Protons immer noch nicht vollständig geklärt ist. 2010 konnte der Radius des Protons von der CREMA Kollaboration zum ersten Mal spektroskopisch aus der Lamb Verschiebung in myonischem Wasserstoff bestimmt werden. Myonische Atome, wie beispielsweise der myonische Wasserstoff, sind Atome bei denen ein Elektron durch ein Myon-Teilchen ersetzt wurde. Da Myonen etwa zweihundertmal schwerer sind, befinden sie sich deutlich näher am Atomkern. Folglich sind die Spektren von myonischen Atomen sensitiver auf die Kerneigenschaften wie etwa deren Radien oder Polarisierbarkeiten.

Die 2010 durchgeführte Messung am myonischen Wasserstoff hatte eine zuvor unerreichte Präzision und bestimmte den Protonenradius auf rp= 0.84087(39) fm [1,2] Erstaunlicherweise war der gemessene Radius jedoch deutlich kleiner als er zuvor mithilfe konventioneller Methoden bestimmt worden war, wie z.B. der Spektroskopie von normalem Wasserstoff und Streuexperimenten mit Elektronen. Zum Vergleich, eine präzise Messung der Protonen Form Faktoren durch die A1-Kollaboration am MAMI Beschleuniger ergab einen Radius rp= 0.879(8) fm  [3]. Nach 2010 wurden daher viele neue Spektroskopie- und Streuexperimente durchgeführt um das Proton-Radius-Rätsel zu lösen und bis heute sind immer noch einige Fragen offen. Aber dank intensiver Forschung bewegt sich das Forschungsfeld der myonischen Atome vom Rätsel zur Präzision („From Puzzle to Precision“)!

In Zukunft sind daher weitere Experimente mit myonischen Atomen geplant, welche viele Informationen zu den Eigenschaften von Protonen, Deuteronen, Heliumkernen, sowie schwereren Kernen liefern werden [4,5,6]. Besonders hervorzuheben ist die geplante Messung der Hyperfeinstruktur des myonischen Wasserstoffs im Grundzustand. Zur Auswertung dieser Experimente - z.B. um Kernradien zu extrahieren- muss allerdings immer auch eine präzise Theorievorhersage für die Spektren der wasserstoffähnlichen Atome vorliegen. D.h. ein wirklich präzises Ergebnis kann nur erlangt werden, wenn sowohl Theorie wie auch Experiment gleich präzise und maximal präzise sind. Hier hat die Theorie laut Franziska Hagelstein bei den myonischen Atomen noch Nachholbedarf. Deshalb widmet sie sich mit ihrer Nachwuchsgruppe u.a. möglichst präzisen Vorhersagen für myonischen Wasserstoff oder myonisches Deuterium. Der Schlüsselfaktor zur Erhöhung der Präzision ist dabei die Bestimmung des Einflusses des Atomkerns auf die Atomeigenschaften. Hierfür sind sogenannte Zwei-Photonen-Austausch Beiträge relevant, welche z.B. den Effekt der Polarisierbarkeit der Nukleonen oder Kerne beschreiben.

Die Nachwuchsgruppe wird bei erfolgreicher Zwischenevaluierung voraussichtlich noch bis Februar 2028 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG im Rahmen des Emmy Noether-Programms finanziell gefördert.

Detailliertere Informationen für Fachleute können den angegebenen Quellen sowie den beiden Reviews [7,8] entnommen werden:

  1. Pohl, et al. [CREMA Kollaboration], The Size of the Proton, Nature 466 (2010) 213-216
  2. Antognini, et al. [CREMA Kollaboration], Proton Structure from the Measurement of 2S-2P Transition Frequencies of Muonic Hydrogen, Science 339 (2013) 417-420
  3. Bernauer, et al. [A1 Kollaboration], High-precision determination of the electric and magnetic form factors of the proton, Phys. Rev. Lett. 105 (2010) 242001
  4. Pohl, et al. [CREMA Kollaboration], Laser spectroscopy of muonic deuterium, Science 353 (2016) 6300, 669-673
  5. Krauth, et al. [CREMA Kollaboration], Measuring the -particle charge radius with muonic helium-4 ions, Nature 589 (2021) 7843, 527-531
  6. Antognini, S. Bacca, A. Fleischmann, L. Gastaldo, F. Hagelstein, P. Indelicato, A. Knecht, V. Lensky, B. Ohayon, V. Pascalutsa, N. Paul, R. Pohl, and F. Wauters, Muonic-Atom Spectroscopy and Impact on Nuclear Structure and Precision QED Theory, 2210.16929.
  7. A. Antognini, F. Hagelstein, and V. Pascalutsa, The proton structure in and out of muonic hydrogen, Ann. Rev. Nucl. Part. Sci. 72 (2022) 389
  8. K. Pachucki, V. Lensky, F. Hagelstein, S. S. Li Muli, S. Bacca, and R. Pohl, Comprehensive theory of the Lamb shift in in μH, μD, μ3He+,and μ4He+, 2212.13782